Lieber Jesajah,
ich denke gerade über eine süße jungen Stute nach, die aus Portugal stammt. Ihre Besitzer haben sie mit Hilfe einer Tierschutzorganisation aus einer sehr schweren Lebenssituation gerettet und aufgepäppelt, so dass sie nun zu einer wunderschönen, jungen Dame geworden ist. Was mich sehr wundert ist ihr zwiespältiges Verhalten. In ihrer Herde ist sie eher zurückhaltend, rangniedrig und sehr anhänglich. Ohne ihre Herde ist sie ängstlich. Im alltäglichen Umgang mit "ihren" Menschen ist sie immer unglaublich lieb, sensibel und verschmust. In ihrer Grundausbildung zeigt sie sich bei der Arbeit vom Boden aus jedoch gar nicht so sensibel wie erwartet. Sie neigt sogar eher zu einem etwas rüpeligem Verhalten und verschließt sich erstmal feinfühligen Signalen gegenüber.
Sie sagte dann zu mir "Wenn Du mal etwas Schlimmes erlebt hast, musst Du eine gewisse Härte entwickeln."
Dieser Satz gab mir so zu denken... Das ist bei uns Menschen ja ganz genauso, wir "machen auch lieber zu" und lassen uns nicht wirklich offen auf jemand anderen ein, aus Angst (wieder) verletzt zu werden.
° Ja, meine Liebe, so ist es.
Es ist doch auch eine verständliche Reaktion, oder?
° Nun, es kommt auf den Standpunkt an, von dem Du es betrachtest.
Hm, kannst Du mir das vielleicht alles etwas näher erläutern an dem Beispiel der Stute? Sie hat ihre Erlebnisse gemacht und zeigt diese unterschiedlichen Reaktionen...
° Ja. Es gibt Alltags-Erlebnisse und herausfordernde Erlebnisse, wo man sich ehrlich mit dem Anderen, dem Gegenüber auseinander setzten muss. Da zeigt sie verschiedene Verhaltensmuster, nicht wahr?
Ja...
° So ist es bei Euch Menschen auch. Wenn ihr nur "mit jemandem einen Kaffee trinken geht" ist das in den allermeisten Fällen ein ziemlich ungefährliches Terrain. Wenn ihr aber wirklich in Kommunikation miteinander tretet, Euch wirklich miteinander verständigen wollt, also, Euch verstehen wollt, dann sieht das Ganze komplett anders aus. Bei der Bodenarbeit mit dem Pferd, muss das Pferd Deine Sprache lernen, es muss verstehen, was Du "komischer Mensch" von ihm möchte.
Es macht dabei vielleicht Fehler, es gibt Missverständnisse. Das macht es unsicher und ängstlich oder auch ärgerlich. Besonders, wenn Du es nicht schaffst, Dich klar auszudrücken oder selber unsicher, launisch und unausgeglichen bist. Schlicht, ein gefährliches Terrain, sich darauf weich und sensibel einzulassen. Jeder reagiert hier anders, auch besonders ihr Menschen seid sehr unsicher, wenn es darum geht zu vertrauen.
Ja, Mist. Warum ist das nur so?
Jeder Mensch, dem Du begegnest ist "ein anderer" Mensch. Du kannst nicht in ihn hereinschauen. Du hast Hoffnungen, wie und ob er Deine Erwartungen erfüllen könnte, aber Du bist Dir nicht sicher.
Du versuchst Dich zu orientieren an "dem Anderen", aber letztendlich musst Du immer und immer wieder feststellen: So funktioniert das nicht. Der andere wird nie Deine Erwartungen vollständig
erfüllen. Niemals. Das funktioniert so nicht. Das einzige, was Du tun kannst, ist gut für Dich selbst zu sorgen.
Das macht die junge Stute auf ihre ganz eigene Weise. Irgendwann, wenn sie mehr Routine hat, wenn sie Vertrauen bekommen kann in Menschen, die sich konstant und berechenbar im Training verhalten,
wird sie sensibler werden, weicher. Weil sie ein Pferd ist und es ihr leichter fällt, sich zu öffnen. Menschen jedoch bleiben viel eher misstrauisch und voller Zweifel. Es ist einfacher, zu
zweifeln als zu vertrauen. Es lenkt ganz wunderbar davon ab, Dich mit Dir selbst zu beschäftigen und dem, was Du selbst eigentlich leisten kannst - an Vertrauen, an Geben, an Liebe, an Offenheit,
an Hoffnung, an Frieden, an Geborgenheit, an Sicherheit. Ja, Eure Listen sind endlos. Euer Verlangen, Eure Erwartungen und Forderungen an "den Anderen" sind endlos.
Puh. In der Tat erwarten wir oft, dass der andere zuerst gibt, dann können wir ja auch was geben - aber bloß nicht vorher...
Verstehe mich nicht falsch. Es gibt Situationen, da ist es durchaus angebracht, vorsichtig zu sein. Abwartend. Es steht Dir frei, Dich dahin zu wenden, wo es Dir gut geht. Niemand muss sich verletzen lassen, weil er unbedingt "zuerst" geben will. Selbstverantwortung, Selbstfürsorge, Selbstrespekt ist Euer höchstes Gut und Eure höchste Verantwortung für Euch selbst. Dies könnt Ihr niemand anderem in die Schuhe schieben. Ihr müsst für Euch selbst sorgen. Für Euer ganz eigenes Wohlbefinden. Das kann Euch niemand abnehmen. Erst, wenn Ihr in einem Umfeld seid, in dem Ihr Euch wirklich wohl fühlt - egal, ob in Gesellschaft oder allein - dann erst seid ihr in der Lage Euch zu öffnen.
Hm, also, der andere muss uns nicht direkt "etwas geben", wie sein Herz auf dem Silbertablett, aber wir müssen uns in seiner Gegenwart gut fühlen und sicher?
Ja, denke an die Erlebnisse, die die Stute in ihrer Vergangenheit gemacht hat. Sie ist nicht nur aufgrund ihrer mangelnden Versorgung an Futter fast gestorben. Der Transport, die emotionale Unsicherheit, der Trennungsschmerz von ihrer Pferde-Familie in Portugal, all diesen Kummer hätte sie fast nicht überlebt. Erst, als sie langsam wieder Vertrauen fassen konnte in die Liebe und die Sicherheit, die ihr "ihre neue Familie" gegeben hat, ging es langsam mit ihr aufwärts.
Auch Ihr Menschen braucht ein sicheres Umfeld, um Euch so entwickeln zu können, dass ihr Vertrauen könnt. Viele Generationen liegen mit ihren Erfahrungen und Ängsten hinter Euch, das ging nicht spurlos an Euch vorüber. Aber solange Ihr den Wunsch in Euch tragt, lieben zu wollen, wird es eines Tages geschehen.
Haltet Euch an die Grundregeln der Selbstfürsorge, des Selbstrespektes und der Selbstliebe. So wie ihr für Euch sorgt, könnt ihr auch reell für Euren Partner sorgen. Alles andere kippt in eine Dysbalance. Wenn ihr Euch selbst wirklich nah seid, authentisch lebt und liebt, dann fällt es Euch auch in der Seelenliebe leichter, Euch zu öffnen.
Wenn wir authentisch leben und lieben... damit meinst Du, dass wir in unserem Leben Dinge tun, die wir lieben? Und uns selbst nicht verleugnen, nur weil etwas bestimmtes von uns erwartet wird?
Ja. Das hast Du sehr schön gesagt, meine Liebe. Nur, wenn Du wahrhaftig Du selbst bist, kannst Du auch aus Deiner eigenen Ruhe und Kraft heraus agieren und lieben. Öffne Dein Herz Deinem Leben. Dann wirst Du mehr Nähe spüren zu allem was Dich umgibt, auch zu der Seele, die für Dich bestimmt ist.
Auch, wenn das bei mir wieder viele neue Fragen aufwirft ;-) glaube ich, dass ich auf meine ursprüngliche Frage, wie wir echte Nähe zulassen können, schon viele hilfreiche Antworten erhalten habe... vielen Dank!
Sehr gerne. Euer Wachstum ist unvermeidlich. Ihr bestimmt den Rhythmus und die Zeiteinheiten jedoch mehr als bisher angenommen. Ihr seid Eures eigenen Glückes Schmied, wie man so schön sagt. Zweifelt nicht, liebt! Und zwar Euer Leben. Wenn Ihr danach lebt, ist alles geschehen, was Ihr Euch so sehnlichst wünscht.
Danke :-) <3
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